Title data
Holtsträter, Knut:
Mauricio Kagels musikalisches Werk : Der Komponist als Erzähler, Medienarrangeur und Sammler.
Köln u.a.
:
Böhlau
,
2010
.
- (Schriftenreihe der Hochschule für Musik "Franz Liszt" Weimar
; 5
)
ISBN 978-3-412-20245-3
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Abstract in another language
Er gilt als einer der bedeutendsten Protagonisten neuer und experimenteller Musik: Mauricio Kagel (1931-2008) hat ein vielseitiges Werk hinterlassen, das vom Musiktheater Über Orchestermusik bis hin zu Hörspielen und Filmen reicht. Sein Leben lang arbeitete er nicht nur als Komponist, sondern auch als Dirigent, Regisseur und Textautor. Die Monographie arbeitet werkübergreifend die charakteristischen Eigenheiten seines Komponierens heraus. Diese Herangehensweise ist in einer detaillierten Analyse von Kagels zahlreichen Kompositionsskizzen begründet, die sich in der Paul Sacher Stiftung (Basel) befinden. Die Skizzen werden von Holtsträter nicht als Vorstadien der eigentlichen Werke gesehen, sondern als Dokumente eines Kompositionsprozesses. Aus der modernen Literaturtheorie stammt die Einsicht, dass das erzählende Subjekt - beispielsweise eines Romans - keineswegs mit der Person des Autors gleichzusetzen ist, sondern seinerseits ein ästhetisches Konstrukt darstellt. Auch in der Musiktheorie kann diese Unterscheidung, wie im Kapitel "Erzählen und Musik" gezeigt wird, erkenntnisfördernd sein. Dabei geht es nicht darum, Kagels Werke phantasievoll als Vertonungen erzählter Handlungsabläufe zu deuten. Wohl aber ist die Unterscheidung zwischen dem Autor und einem das Werk inszenierenden Subjekt hilfreich, wenn es darum geht, die spielerischen, witzigen und ironisch-distanzierten Formen des Komponierens herauszuarbeiten. Nicht zuletzt die für Kagel charakteristische Einbeziehung von außermusikalischen Formen der Kommunikation (z.B. Gestik und Mimik) wird nachvollziehbar, wenn man ein Erzählsubjekt unterstellt, das diese Ausdrucksformen bewusst einsetzt und so ein eigenes Erzählverhalten entwickelt. Am Beispiel des Films "Ludwig van" erörtert Holtsträter die für Kagel charakteristische Collage- und Montagetechnik. In einer Sequenz dieses Films wird Beethovens Musikzimmer rekonstruiert, wobei Wände, Möbel und Utensilien mit Notendrucken beklebt sind. Die Filmkamera "liest" diese Noten, während die Tonspur die Musik in gleicher oder ähnlicher Weise wiedergibt. Hier wird exemplarisch sicht- und hörbar, wie Kagel mit Ausdrucksformen und mit Traditionen nicht nur der Musik, sondern auch der Bildenden Kunst und des Films auf kreative Weise spielt. Dieses intermediale Komponieren erschließt sich, wie Holtsträter darlegt, erst durch die Frage nach einem im Werk präsenten Subjekt des Kompositionsprozesses. Die Collage, die zwischen verschiedenen Medien hin- und herwechselt, lässt sich - unter der Annahme eines fiktiven Subjekts, das die beteiligten Medien arrangiert - als künstlerische Ausformung einer "Suche nach sich selbst" deuten. Dadurch leistet Kagel einen originären Beitrag zu einer Reflexion über das Subjekt in der Moderne. Gerade die Einbindung von elektroakustischer Musik sei hierfür besonders geeignet. Denn die apparative Technik könne mit anderen "Techniken", wie z.B. Spieltechnik oder Kompositionstechnik, reflektierend in Beziehung gesetzt werden. In der Kulturanthropologie gilt das Sammeln als eine alte Kulturtechnik, die ebenso wie das Lesen und Schreiben der Identitätsbildung dient. Holtsträter knüpft an diese Erkenntnis an, indem er Kagels Werk auch unter dem Aspekt "Sammeln und Musik" beleuchtet. Denn Kagel hat in seinen Kompositionen häufig auf Elemente bereits vorhandener künstlerischer Produktionen zurückgegriffen. Sein Werk ist geprägt vom Sammeln fremden und eigenen Materials, von dessen bewusster Auswahl und Aneignung. Dabei kommt es häufig zu Verwandlungsprozessen, die sich zwischen verschiedenen Medien abspielen: Sprache wird in ein Bild, ein Zeitungsartikel in eine Filmsequenz, eine Klangsequenz in optische Eindrücke umgewandelt. Das im Werk präsente, sich in wechselnden Arrangements ständig neu erfindende Subjekt des Kompositionsprozesses wird von Holtsträter auf den Typus des Sammlers bezogen. Gerade in dieser Hinsicht erweisen sich die zahlreichen Kompositionsskizzen als aufschlussreich. Vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Einsichten in die Kulturtechnik des Sammelns lassen sie Kagels Komponieren als Akt des Sammelns erscheinen; die Komposition selbst präsentiert sich als Sammlung. Die von Kagel erfundene Serielle Tonalität ist eine Kompositionstechnik, die an Arnold Schöbergs Zwölftontechnik anknüpft, aber zugleich einen originellen Beitrag zur Musikszene der Nachkriegszeit darstellt. In Westdeutschland und den europäischen Nachbarländern bildete sich eine junge Generation von Komponisten heraus, die auf internationalen Foren - insbesondere den Darmstädter Ferienkursen - als musikalische Avantgarde auftrat. Stockhausen, Goeyvaerts und andere begannen sich von den Kompositionstechniken der Wiener Schule zu lösen, die durch Schönberg, Webern und Berg geprägt war. Zugleich ging man auf Distanz zu der Deutungshoheit, die Theodor W. Adorno aufgrund seiner "Philosophie der Neuen Musik" und anderer musiksoziologischer Schriften zugewachsen war. Wie es Mauricio Kagel Ende der 1950er Jahre als Neuankömmling aus Argentinien gelang, in diesem Spannungsfeld eine eigenständige avantgardistische Position zu entwickeln, wird von Holtsträter am Beispiel zahlreicher Werkausschnitte nachgezeichnet.
Abstract in another language
Analyzes the characteristics of compositions by Mauricio Kagel (1931-2008), who composed a variety of genres ranging from music theater through orchestral music to radio plays and films. Modern literary theory has shown that the narrative subject - of a novel, for example - is by no means identical to the author, but constitutes an aesthetic construct, a distinction which can be valuable in music theory as well. This does not mean that Kagel's work should be interpreted in an imaginative fashion as settings of narrated plots, however the differentiation between the author and the subject who shapes the work should be maintained in order to clarify the playful, witty, and ironically-distanced form of his composition. In his compositions, Kagel often had recourse to elements of pre-existing artistic productions. His work is marked by the collection of materials from outside as well as from within his work, and by their conscious selection and appropriation. This often leads to processes of transformation that take place between media: language is turned into an image, a newspaper article becomes a film sequence, a sound sequence becomes a series of visual impressions. The many compositional sketches prove to be particularly revealing in this respect. In the context of scholarly insights into the cultural technique of collection, Kagel's composition appears as an act of collecting, and the composition itself as a collection.
Further data
Item Type: | Book / Monograph |
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Keywords: | Western art music - History (1910 to present); Kagel, Mauricio: works - style creative process |
Institutions of the University: | Faculties > Faculty of Languages and Literature Faculties > Faculty of Languages and Literature > Chair Theatre Studies with a focus on Music Theatre > Chair Theatre Studies with a focus on Music Theatre - Univ.-Prof. Dr. Anno Mungen Research Institutions > Research Units > Research Institute for Music Theater Studies - FIMT Faculties Faculties > Faculty of Languages and Literature > Chair Theatre Studies with a focus on Music Theatre Research Institutions Research Institutions > Research Units |
Result of work at the UBT: | No |
DDC Subjects: | 700 Arts and recreation > 700 Arts 700 Arts and recreation > 780 Music 900 History and geography > 900 History |
Date Deposited: | 06 Oct 2014 06:44 |
Last Modified: | 15 Jun 2016 07:21 |
URI: | https://eref.uni-bayreuth.de/id/eprint/3014 |