Titelangaben
Pissarskoi, Eugen ; Ouma, Stefan ; Schopp, Kerstin ; Singo, Leiyo ; Potthast, Thomas:
Welche Bio_Ökonomie für welche Zukunft? Zur Repolitisierung eines Diskurses im Globalen Norden durch Einsichten aus Tansania.
In: Peripherie.
Bd. 40
(2020)
Heft 159/160
.
- S. 258-282.
ISSN 0173-184X
DOI: https://doi.org/10.3224/peripherie.v40i3-4.03
Abstract
Mehrere Kritiker*innen warnen, dass die Verbreitung des Bioökonomie-Diskurses die Kolonialität von Märkten und Wissen weiter verfestige, welche die formal postkolonialen Nord-Süd-Beziehungen prägten. In diesem Text stimmen wir diesem Gedankengang nur teilweise zu. Kritiker*innen der globalen Wirkungsmacht des Bioökonomie-Diskurses setzen ein zu enges Verständnis von Bioökonomie voraus. Wir argumentieren, dass ein unumstrittener Kern des Bioökonomie-Diskurses darin liegt, Visionen und Wege zu konzipieren, wie Institutionen zur Ermöglichung menschlichen Wohlergehens derart organisiert werden können ("Wirtschaft"), dass sie den Erfordernissen inter- und intragenerationeller Gerechtigkeit entsprechen und alle moralisch berücksichtigungswürdigen Wesen berücksichtigen ("Bio"). Um diesen "Raum des Möglichen" zu öffnen, schlagen wir vor, die Idee der "Bioökonomie" strategisch neu anzueignen und stattdessen den Begriff "Bio_Ökonomie" zu verwenden: Der Unterstrich verweist auf eine breite Vielfalt ethisch rechtfertigbarer Visionen, wie das "Bio" mit der "Ökonomie" verknüpft werden sollte. Das gesamte Spektrum der politischen Diskurse über die Zukunft der Landwirtschaft in den Ländern Subsahara-Afrikas enthält das Potenzial, einen kritischen Diskurs über Bioökonomie-Visionen entstehen zu lassen. Diese These belegen wir anhand von zwei Fallstudien aus dem landwirtschaftlichen Diskurs in Tansania: zu Landnutzung und zu gentechnisch veränderten Organismen. In beiden Bereichen finden sich Indizien dafür, dass es eine Vielfalt bio_ökonomischer Visionen gibt, die von verschiedenen Interessengruppen in Tansania, wenn auch implizit, befürwortet werden.
Abstract in weiterer Sprache
Several critics have warned that the proliferation of the bioeconomy discourse is further entrenching the coloniality of markets and knowledge engrained in formally postcolonial North-South relationships. In this paper, we only partly agree with this line of reasoning. As we claim, critics of the global power of the bioeconomy discourse understand bioeconomy in too narrow of terms. An unanimous core of the bioeconomy discourse, we argue, is the quest for visions and ways to organise institutions that enable human flourishing (“economy”) in ways that comply with the requirements of inter- and intragenerational justice and that take all morally considerable beings into account (“bio”). To open up this “space of possibilities”, we strategically reappropriate the notion of “bioeconomy”, instead using the term “bio_economy”, with the underscore signifying a broad variety of ethically justifiable visions of how the “bio” ought to be entangled with the “economy”. As we demonstrate in the context of Sub-Saharan Africa, the full range of national policy discourses on the future of agriculture contain potential for the development of critical visions of bioeconomy. We demonstrate the latter by turning to two articulations of agricultural discourse in Tanzania: land-use and genetically modified organisms. These cases provide evidence of the diversity of bio_economy visions already endorsed, albeit implicitly, by different interest groups in Tanzania.