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Make Heimat Great Again. Das spatial imaginary »Heimat« im politischen Diskurs zwischen alten Feindbildern, neuem Regionalitätsverständnis und räumlicher Gerechtigkeit

Titelangaben

Wunder, Barbara:
Make Heimat Great Again. Das spatial imaginary »Heimat« im politischen Diskurs zwischen alten Feindbildern, neuem Regionalitätsverständnis und räumlicher Gerechtigkeit.
Bayreuth , 2025 . - XXVI, 277 S.
( Dissertation, 2025 , Universität Bayreuth, Fakultät für Biologie, Chemie und Geowissenschaften)
DOI: https://doi.org/10.15495/EPub_UBT_00008763

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Abstract

Der Begriff »Heimat« ist im Freistaat Bayern seit 2014 und auf bundespolitischer Ebene seit 2018 ministeriell verankert. Den Begriff »Heimat« kann man im Rahmen des spatial turn daher nicht nur als kulturelle Größe wahrnehmen, sondern auch räumlich denken (Costadura, et al., 2019, p. 21). Den Start des aktuellen politischen Diskurses um den Begriff »Heimat« markiert jedoch die viel beachtete Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) zum Tag der deutschen Einheit 2017 in Mainz (Costadura, et al., 2019, p. 18). Kurz vorher wurde die rechtspopulistische – und mittlerweile als gesichert rechtsextremistisch eingestufte – Partei ´Alternative für Deutschland´ mit 12,6 Prozent erstmals in den deutschen Bundestag gewählt. Steinmeier deutet dieses Votum der Wählerinnen und Wähler als Symptom einer Spaltung der Gesellschaft und als Entfremdung von Teilen der Bevölkerung und Politik (Steinmeier, 2017). Demokratische Politiker hat dies dazu veranlasst, zum Begriff »Heimat« Stellung zu beziehen. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung (2018) und das darin erstmals genannte ´Bundesheimatministerium´ ist in Teilen als eine Antwort auf die Rede des Bundespräsidenten zu verstehen (Costadura, et al., 2019, p. 23). Insgesamt wirkt »Heimat« als Krisensymptom (Schmoll, 2016, p. 44) und „reaktives Phänomen […], das jeweils in politisch-sozialen und/oder wirtschaftlichen Umbruchszeiten eine spezifische Mobilisierung und Intensivierung erfuhr“ (Ries, 2016, p. 50).

Die Ergebnisse der Forschungsarbeit, auf Bundes-, bayerischer Landesebene und dem Landkreis Donau-Ries, zeigen durch den Methodenmix aus lexikometrischer Analyse, Aussagenanalyse und qualitativen Interviews, dass der politisch genutzte Begriff »Heimat« vordergründig im bzw. für den ländlichen Raum wirkt und mit dem Staatsziel der `Sicherstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse´ verbunden wird. Der Begriff »Heimat« erscheint als ´kommunikatives Vehikel´ zur Erreichung dieses Staatsziels, was zunächst eine Ungleichheit von (ländlichen) Räumen voraussetzt. Dabei wird der Begriff »Heimat« nicht nur in der Raumordnungspolitik eingesetzt, sondern auch von konservativen und rechten Parteien in ausgrenzender Weise bedient sowie von liberalen und linksorientierten Parteien Inklusivistisch genutzt. Eine multiplexe und in Teilen strategische Kommunikation um den Begriff »Heimat« wird durch Politiker unterschiedlicher Couleur sichtbar, die »Heimat« bewusst als Marketingbegriff einsetzen. So wird eine starke diskursive Verbindung eines politischen und strategischen Begriffs sichtbar. (Massen)medial werden diese ´Heimatbilder´ - nach dem pictorial turn - wiederum aufgegriffen, was produktiven Charakter im Prozess der Wissensordnung und der gouvernementalen Rationalität hat. Sichtbar werden die mannigfaltigen Deutungsversuche (Signifikant) des Begriffs »Heimat« (Signifikat).
Es konnten fünf große Diskursstränge eruiert werden. Dies sind die ´Strategische Verwendung als Marketingbegriff ´, die ´Gleichwertigen Lebensverhältnisse´, die Bereiche ´Politik und Soziales´, die ´Globalisierung´ und die ´Rechte Vereinnahmung´ des Begriffs »Heimat«. Diese Kontexte bedingen sich gegenseitig und überschneiden sich in weiten Teilen. Daneben konnten auch zahlreiche Problematisierungen und Differenzierungen identifiziert werden. Deutlich wurde außerdem, dass es nicht ´die Heimat´ gibt, sondern unterschiedliche Versuche um Deutungshoheit zum Begriff »Heimat«.

Die Gründung der ´Heimatministerien´ können als Ergebnis gesellschaftlicher Machtverhältnisse bezeichnet werden. Sichtbar wird hier das Dispositiv als ´Ort des doppelten Prozesses´. Durch die ´funktionale Überdeterminierung´ werden einzelne Sprechweisen oder Sprecherpositionen über den Begriff »Heimat« so zueinander positioniert und aneinander angepasst, dass die erwünschte strategische Funktion des politisch verwendeten Begriffs »Heimat« erfüllt wird. Die ´strategische Ausfüllung´ bezeichnet dann die Fähigkeit der diskursiven Praktiken unerwünschte Effekte im Diskurs in erwünschte Strategien umzudeuten. Damit wird ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, dass den Begriff »Heimat« in Form der ´politischen Rationalität´ an historische Praktiken anschlussfähig macht und in deren Kontext dann ´machtvolle´ Wahrnehmungs- und Beurteilungsstrategien generiert werden. Demokratische Politiker positionieren sich hier gegen einen rechtspolitisch verwendeten Begriff »Heimat« und unternehmen den Versuch, diesen demokratisch ´umzudeuten´. Sichtbar werden der ´gesellschaftliche Zusammenhalt`, die ´gleichwertigen Lebensverhältnisse´, ´Globalisierung´ sowie ´Extremismusprävention und Demokratiestärkung´ als neu definierte Problematisierungen im Diskurs um den politisch verwendeten Begriff »Heimat«. Diese Problematisierungen werden dann in Regierungsprogramme zur ´Sicherstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land´ übersetzt. Politische Maßnahmenpakete wie ´Unser Plan für Deutschland´ oder die ´Heimatstrategie´ sollen Lösungsstrategien anbieten, die wiederum an den vorherrschenden Rationalitäten des Regierens anknüpfen. Diese werden dann wirksam, wenn sie sich mit den Praktiken des Regierens wie `Breitbandausbau´ oder ´Behördenverlagerungen´ materialisieren. Die unterschiedlichen Dispositive – diskursive (Sprecherpositionen) und nicht-diskursiver Praktiken (Bildsprache etc.) – konstituieren den Begriff »Heimat« in Form der inhaltlichen und institutionellen Verankerung somit als neuen „Gegenstand des Denkens“ (Foucault, 1985, p. 158). Auch auf der lokalen Ebene wird dies sichtbar, wenn auch deutlich differenzierter als auf den übergeordneten Maßstabsebenen.

Dabei wird die Verwendung des Begriffs »Heimat« in dem Moment problematisch, in dem er durch demokratische Politiker und Rechtspopulisten gleichermaßen instrumentalisiert wird (Weber, et al., 2019, p. 3). Somit zeigt sich eine ´Problematisierung´ diskursiver Praktik, indem konservative Politiker wie Horst Seehofer (CSU) und Rechtspopulisten wie Alexander Gauland (AfD) ähnliche Sprechweisen über den Begriff »Heimat« zeigen. Eine Form der Problematisierung nach Foucault meint hier auch, dass die politischen ´Alternativen´ zu den demokratischen Regierungsprogrammen ebenfalls den Begriff »Heimat« nutzen. Die demokratische Nutzung des Begriffs »Heimat« konnte eine rechtspolitische Verwendung nicht vermindern oder aufheben. So benannte sich die NPD 2023 in ´die Heimat´ um. Hier ist also kritisch zu hinterfragen, ob politische top-down Ansätze den Begriff »Heimat« für rechte Politiken salonfähig machen.

Abstract in weiterer Sprache

The term "Heimat" has been institutionally anchored in the State of Bavaria since 2014 and at the federal political level since 2018. Within "Heimat" can therefore be understood not only as a cultural concept but also as a spatial one (Costadura et al., 2019, p. 21). The current political discourse surrounding "Heimat" was notably initiated by the widely discussed speech of President Steinmeier (SPD) on German Unity Day in 2017 (Costadura et al., 2019, p. 18).

Shortly before, the right-populist – and now confirmed as right extremist – party "Alternative for Germany" (AfD) was elected to the Bundestag with 12.6 percent for the first time. Steinmeier interpreted this vote as a symptom of societal division and alienation among parts of the population and politics (Steinmeier, 2017). This prompted democratic politicians to take a stance on the term "Heimat". The coalition agreement of the German federal government (2018), which for the first time mentions the "Federal Ministry for Homeland," can partly be seen as a response to the President’s speech (Costadura et al., 2019, p. 23). Overall, "Heimat" functions as a symptom of crisis (Schmoll, 2016, p. 44) and as a "reactive phenomenon [...], which in times of political, social, and/or economic upheaval, experiences specific mobilization and intensification" (Ries, 2016, p. 50).

The research findings at the federal, Bavarian state, and Donau-Ries district levels, using a mixed-method approach – including lexicometric-, statement analysis, and interviews – show that the politically used term "Heimat" primarily operates in and for rural areas and is linked to the state goal of ensuring "equal living conditions." "Heimat" appears as a "communicative vehicle" to achieve this goal, which initially presupposes inequalities between (rural) spaces. The term is not only employed in spatial planning policy but is also used exclusionarily by conservative and right-wing parties, while liberal parties use it inclusively. A multiplex and partly strategic communication is evident among politicians of different orientations, who deliberately deploy "Heimat" as a marketing term. This reveals a strong discursive connection between a political and strategic concept. "Heimat images" are also taken up by (mass)media, which has a productive role in the process of knowledge organization and governmental rationality. The manifold interpretative attempts (signifiers) of the term "Heimat" (signified) become visible.

Five discursive strands could be identified: "Strategic use as a marketing term," "Equal living conditions," the areas of "Politics and Society," "Globalization," and "Right-wing appropriation". These contexts influence each other and overlap significantly. Additionally, numerous problematizations and differentiations were identified. It also became clear that "Heimat" does not refer to a single, fixed concept but rather to various attempts at claiming interpretative sovereignty over the term.

The "Heimat ministries" can be seen as a result of societal power relations. Here, the dispositif (apparatus) functions as a "place of the double process." Through "functional over-determination," specific discursive positions or speaker stances regarding "Heimat" are positioned and aligned in such a way that the desired strategic function of the politically used term "Heimat" is fulfilled. The "strategic filling" then refers to the ability of discursive practices to reinterpret unwanted effects in discourse into desired strategies. This process establishes a corresponding field of knowledge that makes the term "Heimat" connectable to historical practices in form of "political rationality," and within this context, it generates "powerful" perception and evaluation strategies. Democratic politicians attempt to "reinterpret" it democratically. Visible are the redefinition of "social cohesion," "equal living conditions," "globalization," as well as "extremism prevention and strengthening democracy" as newly problematized issues within the discourse surrounding the term "Heimat." These problematizations are then translated into government programs aimed at ensuring equal living conditions in cities and rural areas. Political packages are intended to offer solutions that build on the prevailing rationalities of governance. These become effective when they materialize through governance practices. The different dispositives – discursive (speaker positions) and non-discursive practices (visual language, etc.) – constitute the term "Heimat" in the form of its substantive and institutional anchoring, thus establishing it as a new "object of thought" (Foucault, 1985, p. 158). This is also visible at the local level, albeit in a more differentiated manner than at higher levels of Government.

The use of the term "Heimat" becomes problematic when it is equally instrumentalized by democratic politicians and right-wing populists (Weber et al., 2019, p. 3). Thus, a "problematization" of discursive practice emerges, as conservative politicians like Seehofer (CSU) and right-wing populists like Gauland (AfD) display similar ways of speaking about the term "Heimat." According to Foucault, a form of problematization also means that political "alternatives" to democratic government programs also use the term "Heimat." The democratic use of the term "Heimat" could not diminish or abolish its legal-political connotations. For example, the NPD renamed itself "die Heimat" in 2023. It is therefore critically necessary to question whether political approaches make the term "Heimat" socially acceptable for right-wing politics.

Weitere Angaben

Publikationsform: Dissertation
Keywords: Heimat; spatial imaginary; räumliche Gerechtigkeit; Regionalitätsverständnis; Diskurstheorie; Gouvernementalitätstheorie
Institutionen der Universität: Fakultäten > Fakultät für Biologie, Chemie und Geowissenschaften > Fachgruppe Geowissenschaften > Professur Stadt- und Regionalentwicklung > Professur Stadt- und Regionalentwicklung - Univ.-Prof. Dr. Manfred Miosga
Fakultäten
Fakultäten > Fakultät für Biologie, Chemie und Geowissenschaften
Fakultäten > Fakultät für Biologie, Chemie und Geowissenschaften > Fachgruppe Geowissenschaften
Fakultäten > Fakultät für Biologie, Chemie und Geowissenschaften > Fachgruppe Geowissenschaften > Professur Stadt- und Regionalentwicklung
Titel an der UBT entstanden: Ja
Themengebiete aus DDC: 500 Naturwissenschaften und Mathematik > 550 Geowissenschaften, Geologie
Eingestellt am: 20 Dec 2025 22:01
Letzte Änderung: 20 Dec 2025 22:01
URI: https://eref.uni-bayreuth.de/id/eprint/95506