Titelangaben
Butterhof, Christian:
Crystal Engineering molekularer Festkörper.
Bayreuth
,
2014
. - VIII, 116 S.
(
Dissertation,
2014
, Universität Bayreuth, Bayreuther Graduiertenschule für Mathematik und Naturwissenschaften - BayNAT)
Abstract
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Kristallisation und der Co-Kristallisation kleiner und
starrer organischer Moleküle. Im Mittelpunkt standen dabei die beiden Moleküle Benzoesäure
(HBz) und Benzamid. HBz und seine Alkalimetallsalze (Natriumbenzoat (NaBz) und
Kaliumbenzoat (KBz)) werden in der Lebensmittelindustrie häufig als Konservierungsmittel
verwendet. Substituierte Derivate von Benzamid wiederum finden Anwendung in der pharmazeutischen Industrie. Beide Moleküle stellen somit ideale Modellsysteme für die Untersuchung
der Kristallisation und der Polymorphie von pharmazeutischen Wirkstoffen (englisch: Active
Pharmaceutical Ingredient (API)) dar. Zentrale Aspekte für die Arzneimittelindustrie sind zum
Einen die Gewährleistung der gewünschten/benötigten physikalisch-chemischen Eigenschaften
(Löslichkeit und Stabilität) und zum Anderen die Phasenreinheit der (patentrechtlich geschützten) verkauften Form.
Im System HBz konnten zwei zueinander polymorphe Co-Kristalle mit NaBz (2 HBz ∙ 1 NaBz (2
Teile HBz und 1 Teil NaBz)) strukturell charakterisiert werden und zusätzlich die thermodynamische Beziehung zwischen beiden Formen aufgeklärt werden: Form A (thermodynamisch stabil
bei Raumbedingungen) ist enantiotrop zu Form B (metastabil bei Raumbedingungen) und ist
durch Erhitzen umwandelbar. Dieses Ergebnis ist aus mehreren Gründen interessant: Einerseits
sind bislang nur wenige polymorphe Co-Kristalle strukturell charakterisiert worden, andererseits
liefert dieses System einen Beitrag zur Beantwortung eines allgemeinen Dilemma, welches sich
bei vielen Salzen pharmazeutischer Verbindungen zeigt. Die übliche 6-fache Koordination von
Natrium (bei gegebener 1:1 Stöchiometrie) ist auch bei zweizähniger Verbrückung nur durch
hochgradige Kanten und/oder Eckenverknüpfung der Polyeder zu erreichen. Aufgrund der geringen Größe des Natriumkations zum vergleichsweise großen Benzoatanion ist dieser hohe Kondensationsgrad aus sterischen Gründen nur schwer zu realisieren. Eine Folge davon ist die
Teilkristallinität des kommerziellen NaBz, dessen Kristallstruktur deshalb bis zu dieser Arbeit
nicht bestimmt werden konnte. An diesem Problem leiden auch viele pharmazeutische Wirkstoffe, welche oft noch wesentlich größere Gegenionen besitzen. Ein möglicher Ausweg aus die-
sem „Koordinations-Dilemma“ stellt hier die Co-Kristallisation dar. Durch das Einbringen zusätzlicher Koordinationsstellen durch neutrale HBz ist es möglich, die benötigte Koordination
des Kations zu erreichen und gut kristalline, phasenreine Co-Kristalle zu erhalten. Die Anzahl zusätzlich benötigter Liganden wird entscheidend durch das Größenverhältnis von Anion zu Kation beeinflusst. Folglich variieren mit Veränderungen der Größe des anorganischen Kations und dessen Koordination die Stöchiometrie und die Moden der Polyederkondensation. So kristallisiert
der Co-Kristall zwischen HBz und Lithiumbenzoat (LiBz) im stöchiometrischen Verhältnis von
nur 1:1 (1 HBz ∙ 1 LiBz). Die Ursache hierfür ist dabei in der bevorzugten 4-fach Koordination
von Lithium zu suchen. Die erhaltenen neuen Co-Kristalle wurden ferner mit der bereits publizierten Struktur des Co-Kristalls zwischen HBz und KBz (1 HBz ∙ 1 KBz) verglichen, bei der zwar wieder eine oktaedrische Koordination gefunden wird, aber ein höherer Kondensationsgrad
realisiert wird im Vergleich zu 2 HBz∙ 1 NaBz. In der Zusammenschau der systematischen Studie konnten folgende vier Faktoren identifiziert werden, die die Bildung dieser Co-Kristalle bestimmen: a) Kationengröße, b) Verhältnis HBz: Benzoat, c) Art der Koordination der
Carboxylgruppen (ein- oder zweizähnig), d) Verknüpfung und Verknüpfungsgrad benachbarter
Koordinationspolyeder (Ecken- oder Kantenverknüpfung).
Durch eine arbeitsintensive Optimierung der Kristallwachstumsbedingungen konnten wir letztlich erstmals auch Kristalle der reinen Salze von NaBz und KBz erhalten, die für eine Strukturbe-
stimmung von genügender Qualität waren. In beiden Nahrungsergänzungsmitteln kommt es zu
einer Art Mikrophasensegregation, einem Phänomen, welches
bei Tensiden und Blockcopolymeren wohlbekannt und gut untersucht ist. Die Ursache für dieses Kristallisationsverhalten liegt im amphiphilen Charakter des Moleküls begründet. Während im NaBz hexagonale Stabpackungen von Stäbchenmizellen realisiert werden, bildet KBz lamellare Mikrostrukturen aus.
Für das zweite Modellsystem, Benzamid, wurde ein anderer Ansatz verfolgt, um die Löslichkeit
und somit auch Bioverfügbarkeit zu optimieren. Metastabile Polymorphe sind wegen ihrer höheren freien Enthalpie besser löslich als thermodynamisch stabile Polymorphe. Bislang ist es aber
noch nicht möglich, diese metastabilen Formen gezielt und auch phasenrein zu kristallisieren.
Gemäß der Ostwaldschen Stufenregel kristallisiert ein metastabiles Polymorph bevorzugt bei
höherer Übersättigung. Dies gilt auch für die bereits von Wöhler und Liebig beobachtete Form III
von Benzamid, die zuvor nur als mikrokristallines Pulver in Mischung mit Form I erhalten werden konnte. Durch zusätzliche Optimierung der Kristallwachstumsbedingungen ist es nun gelun-
gen, Kristalle zu züchten, die groß genug waren, um eine mechanische Trennung der beiden
Formen I und III zu ermöglichen. Auf diese Art konnte erstmals eine phasenreine Probe dieser
metastabilen Form III eingehend charakterisiert werden. Der Vergleich der dynamischen Differenzkalorimetrie-Messungen (DSC) mit Form I zeigte experimentell, dass diese vor dem eigentlichen Schmelzpunkt einen weiteren endothermen Peak aufweist. Molekulardynamik (MD)-Simulationen konnten zeigen, dass dieser endotherme Vorgang mit dem Entstehen von metastabilen
Defekten zusammenhängt, die sich vor dem eigentlichen Schmelzpunkt ausbilden. Experimentell
konnte dies mittels 1H-SS-NMR Spektroskopie bestätigt werden. Die Rolle solcher Defekte für
den Verlauf von Phasenumwandlungen wird seit langem diskutiert, aber dies sind die ersten experimentellen Befunde bei molekularen Kristallen.
Diese Arbeit ist eine kumulative Dissertation. Die detaillierten Ergebnisse werden in den angehängten Publikationen beschrieben.
Abstract in weiterer Sprache
The present thesis deals with crystallisation and co-crystallisation of small and rigid organic
molecules. The main focus was set on the two molecules benzoic acid (HBz) and benzamide.
HBz and its corresponding alkali metal salts (sodium benzoate (NaBz) and potassium benzoate
(KBz)) are commonly used as preservatives in the food industry. Substituted derivatives of benzamide are used in the pharmaceutical industry. Therefore both molecules are ideal model systems for studying both, polymorphism and crystallisation of active pharmaceutical ingredients
(APIs). Two features are of eminent importance for the pharmaceutical industry. APIs must meet
on the one hand the desired/required physico-chemical properties (solubility and stability) and on
the other hand the marketed (patented) form must be phase pure.
In the HBz system two polymorphic co-crystals with sodium benzoate (2 HBz ∙ 1 NaBz (two
parts HBz and one part NaBz)) could be structurally characterised. Additionally the thermodynamic relationship could be determined: form A (thermodynamically stable at room temperature)
converts enantiotropically into form B (metastable at room temperature) upon heating. For several reasons this result is quite interesting. On the one hand up to now only very few polymorphic
co-crystals could be structurally characterised. On the other hand the new co-crystals contribute
to an answer for a general dilemma from which many pharmaceutical salts suffer. In order to
realise the common 6-fold coordination for sodium, the coordination polyhedra would have to be
connected by heavily shared edges and corners, even if the carboxylate group would act as bidentate ligand. The high connectivity is, however, difficult to realise due to the relatively small
size of the sodium cation compared to the benzoate anion and the related steric requirements. In
consequence, NaBz as marketed is a semi-crystalline material and no crystal structure could be
determined until now. Lots of APIs, which often have much bigger organic anions, are suffering
from the same problem. One way out of this “coordination dilemma” is co-crystallisation. The
neutral HBz delivers additional coordination sites for the cation allowing for crystallisation of
phase pure products. The number of additional ligands is crucially influenced be the volume ratio
between the cation and the anion. Consequently, along with changes in size and coordination of
the inorganic cation, stoichiometry and modes of joining polyhedra vary. Thus, for the co-crystal
between HBz and lithium benzoate (LiBz) the stoichiometric ratio was determined to be 1:1 (1 HBz ∙ 1 LiBz). The reason for this can be found in the preferred 4-fold coordination of lithium.
All new co-crystals were further compared to the already characterised co-crystal between HBz
and potassium benzoate (KBz) (1 HBz 1 KBz) , where octahedral coordination is realized but with increased condensation of polyhedra as compared to 2 HBz ∙ 1 NaBz. In conclusion of the systematic study, the formation of these co-crystals is governed by the following factors: a)
cation size, b) ratio of HBz : benzoate (stoichiometry), c) mode of coordination of the carboxylic
groups (mono- or bidentate), d) connectivity (edge- or corner-sharing) and degree of condensation between neighbouring polyhedra.
By laborious optimising the conditions for crystal growth we finally also succeeded to obtain
crystals of sufficient quality for crystal structure determination of the pure benzoate salts, NaBz and KBz, as well. In both of these food additives a kind of micro phase separation is realised, a
phenomenon which is well known for surfactants and block copolymers. The reason for this behaviour can be traced to the amphiphilic character of the benzoate molecule. For NaBz a kind of
hexagonal tube packing, while in the case of KBz a lamellar arrangement is realised.
In the second model system, benzamide, another approach was followed to optimise the solubility and therefore bioavailability. Metastable polymorphs are more soluble than thermodynamically stable forms, because of their higher Gibbs free enthalpy. Until now, however, it is still not
possible to crystallise metastable polymorphs systematically and phase pure. Following Ostwald’s step rule chances to crystallise a metastable form improve when applying higher degrees
of supersaturation at nucleation. This also applies to metastable form III of benzamide which was
already described by Wöhler and Liebig. So far, however, only microcrystalline powders of form
III in mixture with form I could be obtained. By optimising the conditions of crystal growth, now
sufficiently large crystals could be obtained to allow for mechanical separation of the biphasic
mixture of form I and III. Hence a phase pure sample of metastable form III could be thoroughly
characterised for the first time. Comparing the results from differential scanning calorimetry
(DSC) measurements of both forms, form I surprisingly showed an additional endothermic event
prior to melting. Applying molecular dynamics (MD)-simulations this endothermic event could
be related to the formation of metastable molecular defects, which appear before the melting
point. The experimental evidence of these effects could be affirmed by 1H-SS-NMR spectroscopy
measurements. The role of such defects in the course of phase transitions have long be discussed,
but this is the first time that experimental evidence could be produced for molecular solids.
This work is a cumulative dissertation which describes the results explicitly in the attached publications.