Titelangaben
Krupczynski, Philipp:
Plasticity of the Mauthner-cell associated C-start circuitry.
Bayreuth
,
2014
. - 107 S.
(
Dissertation,
2014
, Universität Bayreuth, Fakultät für Biologie, Chemie und Geowissenschaften)
DOI: https://doi.org/10.15495/EPub_UBT_00001800
Angaben zu Projekten
Projektfinanzierung: |
Deutsche Forschungsgemeinschaft |
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Abstract
Das Mauthner (M)-Zellen assoziierte retikulärspinale Netzwerk von Fischen und Kaulquappen erlangte im Wesentlichen aufgrund seiner Zugänglichkeit auf zellulärer Ebene und durch die enorme Größe der zwei M-Zellen Bedeutung in der Neurowissenschaft. Trotz der erstaunlicherweise geringen Größe dieses neuronalen Netzwerks mit nur einigen hundert Zellen und wenigen synaptischen Verbindungen, die von einem Individuum zum nächsten identifiziert werden können, ist es für ein wichtiges Manöver verantwortlich, den Flucht C-start der meisten Knochenfische. Diese Studie trägt wichtige Aspekte zu der Auffassung bei, dass das Flucht-Netzwerk, obwohl klein, hoch anspruchsvolle und plastische C-Start Entscheidungen steuert. In Schützenfischen lenkt es den sogenannten prädiktiven C-Start: Anhand der visuellen Beurteilung der Anfangsbewegung von abgeschossenen, in der Luft frei fallenden Futterobjekten, führen diese Fische einen C-Start aus, der sie perfekt ausgerichtet auf den späteren Auftreffpunkt dreht und sie mit angepasster Geschwindigkeit abstößt, um die Beute zum richtigen Zeitpunkt zu fangen. Die hohe Präzision in Bezug auf den Zielpunkt und die vollständige experimentelle Kontrolle der prädiktiven C-Starts machen diese Entscheidungen zu wertvollen Modellsystemen dafür, wie im Nervensystem Entscheidungen getroffen werden und wie Umwelteinflüsse die zugrundeliegenden Netzwerke beeinflussen. Zusammen mit der Zugänglichkeit der Netzwerke eignen sich diese Starts hervorragend für eine Untersuchung des Ausmaßes der neuronalen Plastizität und der Aufdeckung innewohnender Puffermechanismen für das Erreichen funktioneller Stabilität. Hier lege ich vier zentrale Ergebnisse vor. (1) Funktionale Stabilität. Temperatur beeinflusst die Physiologie poikilothermer Tiere und daher die Eigenschaften ihrer neuronalen Netzwerke, was ihre Leistung beeinträchtigen könnte. Dennoch müssen Schützenfische die richtigen Entscheidungen treffen: die Wahl eines ungeeigneten Drehwinkels oder Startgeschwindigkeit bedeutet den Verlust der Beute an die zahlreichen Konkurrenten. Das Entscheidungs-Netzwerk sollte daher gepuffert werden, so dass die Funktion nicht durch Temperaturveränderungen beeinflusst wird. Tatsächlich konnte ich herausfinden, dass nach einer kurzen Akklimatisierungsphase die Funktion der prädiktiven C-Starts der Schützenfische in einem Temperaturbereich vollständig erhalten blieb. Bei allen Temperaturen wurde die Reaktionsfähigkeit aufrechterhalten, und die Fische wählten genaue Drehungen im gesamten Winkelbereich. Darüber hinaus passten sie mit gleicher Genauigkeit bei allen Temperaturen ihre Startgeschwindigkeit an die verbleibende Distanz zum Auftreffpunkt ihrer Beute und der verbleibenden Zeit bis zum Aufschlag an. Andere Aspekte wie Latenz oder die C-Start Kinematik waren indes nicht oder nur teilweise Temperatur kompensiert. (2) Intrinsische Qualitätssicherung. Verringern der Helligkeit reduziert die Zuverlässigkeit der visuellen Information, auf dessen Grundlage die prädiktiven Starts ausgeführt werden. Basierend auf typischen Befunden vieler Entscheidungen sollte dies zu einem Zerfall der Genauigkeit führen. Jedoch konnte ich herausfinden, dass dies nicht für die Schützenfisch C-Starts zutrifft. Die Schützenfische entschieden sich richtig im gesamten Bereich von Eingangskonstellationen mit konstanter Genauigkeit bis zu einer reduzierten Helligkeit von 5×10ˉ³ cd mˉ². Unterhalb dieser Schwelle wurden keine prädiktiven C-Starts ausgelöst, obwohl die Fische bei dieser und weit aus geringeren Lichtverhältnissen nachweislich sehen konnten und präzise auf Beute schossen. Trotz der Verringerung der Auslösewahrscheinlichkeit und gleichzeitigem Anstieg der Latenz (um die Beute-Anfangsbewegung verlängert zu evaluieren), blieben die grundlegenden kinematischen Eigenschaften der C-Starts im Dunklen unverändert. Meine Ergebnisse weisen auf einen Kontrollmechanismus noch unbekannter Natur hin, der sicherstellt, dass C-Starts nur dann ausgelöst werden, wenn sie erwartungsgemäß exakt auf den späteren Auftreffpunkt gerichtet sind. (3) Das Netzwerk wird auch in anderen Arten ähnlich genutzt. Da der Großteil der Knochenfische das M-Zellen assoziierte Netzwerk besitzt, kam die Frage auf, ob andere Arten neben dem Schützenfisch dieses Netzwerk nicht nur für die Flucht, sondern auch für genau abgestimmte Starts in ihrer Ernährungsweise benutzen. Anhand von Feldforschung in Costa Rica stellte ich fest, dass der Früchte fressende, in Flüssen lebende Machaca, Brycon guatemalensis, C-Starts in der Art und Weise wie Schützenfische verwendet. Wartend unterhalb von Bäumen mit reifen Feigen, frontal zur Strömung ausgerichtet, reagieren diese Fische auf die visuelle Information fallender Früchte bevor diese auf die Wasseroberfläche aufschlagen und starten in Richtung des späteren Auftreffpunkts. Der interessante Aspekt dieser Starts ist, dass die Fische (aber nicht ihr Zielobjekt) starker Strömung ausgesetzt sind. Erstaunlicherweise lösten die Fische dieses Problem gleich bei ihrem Start, indem sie sich in eine Richtung drehten, die optimal an die Abdrift auf ihrem Weg zum Ziel angepasst war. (4) Das Netzwerk kann in adulten Zebrafischen neu programmiert werden. Es stellte sich die Frage, ob man noch einen Schritt weiter gehen könnte und das M-Zellen Netzwerk sogar durch zuvor Entscheidungs-irrelevante Information angepasst werden kann. Nachdem adulte Zebrafische ausschließlich einer Umwelt ausgesetzt wurden, in der das gesamte Futter auf ballistischen Flugbahnen aus der Luft fiel, konnten wir zeigen, dass das Netzwerk tatsächlich die Fallgesetze verinnerlicht hatte. Die Zebrafische waren imstande, genau abgestimmte C-Starts für beliebige Flugbahnen auszuwählen, sogar für zuvor völlig unbekannte. Daraus ergibt sich die einmalige Möglichkeit, den Aufbau der Repräsentation eines Physikgesetzes in einem kleinen definierten Netzwerk zu erforschen, und um zu verstehen, wie Gesetze der äußeren Welt in der Sprache der neuronalen Netzwerke dargestellt werden.
Abstract in weiterer Sprache
The Mauthner (M)-cell associated reticulospinal circuitry of fish and tadpoles has been important in neuroscience largely due to its accessibility on a cellular level and due to the enormous size of the two M-cells. Although this neuronal network is surprisingly small with a few hundred defined cells and few synaptic levels that can be identified from one individual to the next, it is responsible for an important manoeuvre, the escape C-start shown by most teleost fish. This study contributes several key issues to argue that the escape circuitry, although small, drives highly sophisticated and plastic C-start decisions. In archerfish it drives their so-called predictive C-start: Based on the visual sampling of the initial motion of dislodged aerial falling food objects, these fish initiate a C-start that turns them to be perfectly aligned to the later point of impact long before the food hits the water surface and pushes them off with a matched speed to make the catch just right in time. The high accuracy with its aim well-known to the inferred target point and the full experimental controllability of the predictive C-starts make these fast-start decisions valuable models of decision-making and of how environmental perturbations affect the underlying circuits. Given the accessibility of the neuronal networks, these starts are perfectly suited to assay the degree of the circuits’ plasticity and reveal inherent buffering mechanisms to achieve functional stability. (1) Functional stability. Temperature affects the physiology of poikilothermic animals and, thus, properties of their neuronal circuitry that could compromise performance. Yet, archerfish have to decide correctly: Selecting an inappropriate turn angle or take-off speed means loosing prey to the numerous competitors. The decision-network should thus be buffered so that function is not affected by changes in temperature. Indeed, I found that after a brief acclimation period the function of the archerfish predictive C-starts was fully maintained over a range of operating temperatures. At all temperatures full responsiveness was sustained and the fish selected accurate turns over the full angular range. Furthermore, the fish matched their take-off speed attained immediately after the end of the C-start to remaining distance to the prey’s future landing point and remaining time with equal precision at all temperatures. Other aspects, however, such as latency and kinematics of the C-start are not or only partly temperature compensated. (2) Intrinsic quality control. Dimming light reduces the reliability of the visual input the predictive starts are based on. Based on typical findings in many other decisions this should lead to a decay in accuracy. However, I discovered that this does not hold for the archerfish C-start decisions. Archerfish decided correctly over the full range of input constellations with equal precision down to light levels of 5×10ˉ³ cd mˉ². Below, no more predictive C-starts were released – although the fish demonstrably were fully capable of seeing and accurately shooting at prey at this and even far lower light levels. While release probability decreased and latency increased to allow prolonged sampling of the prey’s initial motion, the basic kinematic properties of C-starts were, however, unchanged under dim light conditions. My findings suggest an efficient pre-release control mechanism of yet unknown identity that ensures that C-starts are only released when they are expected to be accurate to the later point of catch. (3) Similar use of the network in other species. Because the majority of teleost fish have M-cell associated circuitry we wondered whether other species might by able to use them like archerfish, not only to drive escapes but also to drive fine-tuned starts in feeding. In fieldwork, carried out in Costa Rica, I discovered that the fruit-eating riverine machaca, Brycon guatemalensis, also employs C-starts in an archerfish-like manner. Waiting underneath trees with ripe figs, head on against the stream, these fish respond to visual motion of falling fruits prior to their impact on the water surface and start right away to the later point of catch. The interesting aspect of these starts is that the fish (but not their target) encountered severe relative drift on their way. Surprisingly, the fish solved this problem right by their starts – rotating them on a direction that was already optimally adapted to the drift they would later encounter. (4) The circuitry can be tuned in adult zebrafish. The previous finding triggered the question, if one could go one step further and test if the M-cell circuitry even can be tuned to previously decision-irrelevant information. After extensively exposing adult zebrafish to an environment in which all food was aerial and fell on ballistic trajectories we could show that the circuit indeed had internalized the laws of ballistics. Zebrafish were able to select a fine-tuned C-start for arbitrary initial motion conditions, even ones the fish had never encountered before. These findings thus offer the unique chance to study the buildup of a representation of a law of physics in a defined small network and to understand how laws of the external world are represented in the language of neuronal circuits.