Titelangaben
Schmidt, Winfried:
On the directed motion of biological cells : From transport and swimming in flows to spontaneous motility.
Bayreuth
,
2023
. - 179 S.
(
Dissertation,
2023
, Universität Bayreuth, Fakultät für Mathematik, Physik und Informatik)
DOI: https://doi.org/10.15495/EPub_UBT_00007267
Abstract
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der theoretischen physikalischen Beschreibung der gerichteten Bewegungen von biologischen Zellen, insbesondere Säugetierzellen und Modellbakterien. Hierbei werden sowohl die autonomen als auch die durch Flüssigkeitsströmungen induzierten und auf Symmetriebrüchen basierten Bewegungen untersucht. Die Erforschung dieser Szenarien ist aus physiologischer, pathologischer und diagnostischer Sichtweise relevant. Beispielsweise sind rote Blutzellen während ihres Transports durch den menschlichen Körper in engen Kapillaren einem Scherfluss ausgesetzt, durch den sie deformiert werden. Diese Deformation führt zu Phänomenen wie der transversalen Migration von Blutzellen senkrecht zur Strömungsrichtung in die Mitte des Blutgefäßes, wo der Fluss am stärksten ist. Mit Hilfe der Mikrofluidik können Zellen gezielt gesteuerten Strömungen bei kleinen Reynoldszahlen ausgesetzt werden. In der vorliegenden Arbeit wird gezeigt, dass ein oszillierender Fluss durch einen Mikrokanal, welcher periodisch seine Strömungsrichtung ändert, zu einer gerichteten Nettobewegung von passiven (Blut-) Zellen und deformierbaren Kapseln führt, obwohl der Fluss selbst keine mittlere Bewegung aufweist. Die Nettobewegung ist hierbei eine Funktion des zellulären Härtegrads, da die Deformation von Blutzellen von der Stärke des Flusses abhängt. Hierbei handelt es sich um ein generisches Phänomen, welches nicht auf rote Blutzellen beschränkt ist, sondern für jedes beliebige deformierbare Teilchen in einem gewissen Größenbereich auftritt. Dieses Ergebnis ist von Relevanz für die Diagnose von beispielsweise Krebs, Malaria, Diabetes oder Sichelzellenanämie, denn diese Krankheiten bewirken einen veränderten Härtegrad bestimmter Körperzellen, welche mit Hilfe des Mechanismus von gesunden Zellen sortiert und damit identifiziert werden können.
Viele Mikroorganismen wie zum Beispiel Bakterien bewegen sich autonom in einer Flüssigkeit fort. Modelle für diese sogenannten Mikroschwimmer werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit in äußeren Strömungen durch Mikrokanäle untersucht. Dies ist unter anderem von Relevanz für das Verständnis bakterieller Kontaminationsprozesse in Röhren oder Kathetern, welche zu Infektionen führen können. Das Zusammenspiel der autonomen Fortbewegung der Schwimmer und der ortsabhängigen Scherrate des Flusses führt zu vielseitigem Verhalten, welches nicht bei passiven Zellen beobachtet wird. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte swinging-Bewegung, bei der Schwimmer die Mittellinie eines geraden Kanals periodisch überqueren. Weiterhin beobachtet man positive Rheotaxis, die Fähigkeit von schwimmenden Organismen sich entgegengesetzt zur Strömung zu orientieren. In der vorliegenden Arbeit wird zunächst ein numerisches Modell für einen deformierbaren Mikroschwimmer mit länglichem Körper entwickelt und validiert. Anschließend wird damit die transversale Migration von Schwimmern untersucht, welche durch deren Deformation im Scherfluss hervorgerufen wird und damit der Migration passiver Zellen ähnelt. Abhängig von der Deformierbarkeit der Schwimmer, der Schwimmgeschwindigkeit, einer inhomogenen viskosen Reibung und der Stärke der externen Strömung wird gezeigt, dass die Schwimmer in Richtung der Kanalmitte, der Kanalwände, zu Attraktoren zwischen der Mitte und den Wänden migrieren oder eine stabile swinging-Bewegung ausführen.
Basierend auf diesen Ergebnissen wird in der vorliegenden Arbeit aufgezeigt, wie ein Fluss durch einen welligen Kanal die Migration der Schwimmer zur Mitte eliminieren kann zu Gunsten einer swinging-Bewegung. Die Amplitude dieser Oszillation kann gezielt durch die geometrischen Größen der Kanalmodulation gesteuert werden und hängt außerdem von den Eigenschaften der Schwimmer ab. Somit lassen sich Mikroschwimmer wie Bakterien anhand typischer Merkmale wie ihrer Größe oder ihrer Schwimmgeschwindigkeit im Kanal (de-)fokussieren, was zum Beispiel der Identifikation bestimmter Spezies in einer Population von Bakterien dienen kann. Außerdem wird gezeigt, dass mit Hilfe des welligen Kanals die Ansammlung von Schwimmern an den Rändern verringert werden kann, womit die stromaufwärts gerichtete Migration entlang der Kanalwand und mögliche daraus resultierende bakterielle Kontaminationen unterdrückt werden können.
Weiterhin wird in der vorliegenden Arbeit die autonome Bewegung von Säugetierzellen mit Zellkern, wie beispielsweise weiße Blutzellen, untersucht. Diese Zellen „krabbeln“ in verschiedensten Umgebungen, was essenziell für die Funktionsweise des Immunsystems, Embryogenese oder Wundheilung ist. Aus diesem Grund ist das Verständnis der intrazellulären Mechanismen, die zur Ausbildung von Zellpolarisation, eine Voraussetzung für die Fortbewegung, führen, von großer Relevanz. Während sich Mikroschwimmer häufig mit Hilfe von externen Körpergliedern wie Flagellen fortbewegen, nutzen diese komplexer aufgebauten Zellen ihr Zytoskelett, um die für die Fortbewegung notwendigen Kräfte auf ihre Umgebung zu übertragen. Eine wichtige Rolle hierbei spielt der Zellkortex, eine dünne Schicht aus filamentförmigen Aktinproteinen, welche sich an der inneren Seite der Zellmembran befindet. Diese Filamente sind durch Myosin, molekulare Motorproteine, verbunden, die chemische Energie in mechanische Arbeit umwandeln, was zu einer Kontraktion des Kortex führt. In der vorliegenden Arbeit wird ein dreidimensionales numerisches Modell für den viskosen Zellkortex validiert und weiterentwickelt. Dabei wird die lokale Geschwindigkeit des Kortex aus den auf ihn wirkenden aktiven und passiven Kräften berechnet. Die Validierung der Simulationsmethode umfasst die Konfrontation der numerischen Ergebnisse mit einer entsprechenden analytischen Lösung sowie den Vergleich mit Literaturresultaten.
Die durch Myosin getriebene Kontraktion des Zellkortex zusammen mit der Polymerisation und Depolymerisation von Aktinfilamenten wird in der Literatur häufig als Ursache für den retrograde flow genannt, einen im Bezugssystem der Zelle tangential zur Membran verlaufenden viskosen Fluss des Kortex vom vorderen zum hinteren Ende der Zelle. Dieser rückwärts gerichtete Fluss ist bei sogenannten abmöboidalen Zellen für deren Fortbewegung verantwortlich. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit brechen mit diesem Bild und zeigen, dass die Aktivität von molekularen Motoren nicht zwingend notwendig für die Entstehung des retrograde flow ist. Es wird analytisch und numerisch gezeigt, dass alleine die Polymerisation von Aktin hinreichend ist, um einen sich selbst verstärkenden tangentialen Fluss des Kortex zu generieren. Die numerischen Ergebnisse basieren hierbei auf der zuvor getesteten Simulationsmethode für den Zellkortex, welche zu diesem Zweck im Rahmen der vorliegenden Arbeit um die Polymerisation von Aktinfilamenten erweitert wird. Diese theoretischen Vorhersagen sind in Übereinstimmung mit aktuellen experimentellen Messungen, welche das Szenario von Zellmotilität auch ohne Myosin-Motoren aufzeigen.
Abstract in weiterer Sprache
The present thesis focuses on the theoretical physical description of the directed motions of biological cells, in particular of mammalian cells and model bacteria. In this context, both their autonomous and flow-induced motions based on symmetry breakings are investigated. The exploration of these scenarios is relevant from a physiological, pathological, and diagnostic perspective. For example, during their transport through the human body, red blood cells in narrow capillaries are subject to a shear flow that deforms them. This deformation leads to phenomena such as the transverse migration of red blood cells perpendicular to the direction of flow towards the center of the vessel where the flow is strongest. The field of microfluidics provides techniques to expose cells to precisely controlled flows at small Reynolds numbers. In the present work it is shown how an oscillatory flow through a microchannel which changes direction periodically induces a directional motion of passive (blood) cells and deformable capsules, despite a vanishing net motion of the flow itself. This net displacement is a function of the stiffness of cells, since the deformation of blood cells depends on the strength of the flow. This phenomenon is generic as it is not limited to red blood cells, but occurs for any suitably-sized, deformable particle. This result is of relevance for the diagnosis of, for example, cancer, malaria, diabetes, or sickle cell anemia, because these diseases cause an altered degree of deformability of certain body cells. Malignant cells can thus be sorted from their healthy counterparts using the presented mechanism.
Many microorganisms, such as motile bacteria, move autonomously in a fluid. Models for these so-called microswimmers are studied in the context of the present work in external flows through microchannels. Among others, this is of relevance for the understanding of bacterial contamination processes in tubes or catheters, which can lead to infections. The interplay between the autonomous locomotion of swimmers and the spatially varying shear rate of the flow leads to diverse behavior which is not observed for passive cells. An example of this is the so-called swinging motion, in which swimmers periodically cross the centerline of a straight channel. Furthermore, positive rheotaxis, the ability of swimming organisms to reorient themselves opposite to the incident flow, is observed. In the present work, a numerical model for a deformable microswimmer with an elongated body is first developed and validated. The model is then used to study the transverse migration of swimmers, which is caused by their deformation in shear flow and thus is related to the migration of passive cells. Depending on the deformability of swimmers, the swimming speed, an inhomogeneous viscous friction, and the strength of the external flow, swimmers are shown to migrate towards the channel center, the channel walls, to attractors located between the center and the walls, or perform a stable swinging motion.
Based on these results, it is demonstrated in the present thesis how a flow through a wavy microchannel can eliminate the migration of the swimmers to the center in favor of a swinging motion. The amplitude of this oscillation can be selectively controlled by the geometric parameters of the channel modulation and also depends on the characteristics of the swimmers. Thus, microswimmers such as bacteria can be (de)focused in the channel based on typical characteristics such as their size or swimming speed, which can be used, for example, to identify specific species in a population of bacteria. It is also shown that the wavy channel can be used to reduce the accumulation of swimmers at the boundaries, thereby suppressing upstream migration along the channel wall and the possible resulting bacterial contamination.
Furthermore, the autonomous motility of nucleated mammalian cells, such as white blood cells, is investigated in the present work. These cells are able to crawl in a variety of environments, which is essential for the function of the immune system, embryogenesis, or wound healing. For this reason, understanding the intracellular mechanisms that lead to the formation of cell polarity, a prerequisite for locomotion, is of great relevance. While microswimmers often use external appendages such as flagella for self-propulsion, these more complex cells utilize their cytoskeleton to transmit the forces necessary for locomotion to their environment. An important role in this plays the cell cortex, a thin layer of filamentous actin proteins situated on the inner face of the cell membrane. These filaments are cross-linked by myosin, molecular motor proteins, which convert chemical energy into mechanical work, resulting in contraction of the cortex. In the present work, a three-dimensional numerical model for the viscous cell cortex is validated and further developed. Herein, the local velocity of the cortex is calculated from the active and passive forces acting on it. The validation of the simulation method includes confrontation of the numerical results with a corresponding analytical solution and comparison with literature data.
Myosin-driven contraction of the cell cortex together with polymerization and depolymerization of actin filaments is often reported in the literature as the origin of the retrograde flow, a viscous flow of the cortex which, in the cell frame, is directed tangentially to the membrane from the cell front to the rear. This retrograde flow is responsible for the motility of so-called amoeboidal cells. The results of the present work break with this picture and show that the activity of molecular motors is not necessary for the emergence of the retrograde flow. It is shown analytically and numerically that actin polymerization alone is sufficient to generate a self-sustaining tangential flow of the cortex. Here, the numerical results are based on the previously validated simulation method for the cell cortex, which is, for this purpose, extended in the present work to include actin filament polymerization. These theoretical predictions are in agreement with recent experimental measurements which demonstrate a scenario of cell motility without myosin motors.