Titelangaben
Purnhagen, Kai:
Es wächst zusammen was zusammen gehört? Konvergenz zwischen Agrarrecht und Binnenmarktrecht am Beispiel des Kennzeichnungsrechts für innovative Lebensmittel.
In: Europarecht.
Bd. 59
(2024)
Heft 5
.
- S. 460-477.
ISSN 0531-2485
DOI: https://doi.org/10.5771/0531-2485-2024-5-460
Angaben zu Projekten
Projekttitel: |
Offizieller Projekttitel Projekt-ID Innovate Food Law 465588286 |
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Projektfinanzierung: |
Deutsche Forschungsgemeinschaft |
Abstract
Das Kennzeichnungsrecht für innovative Lebensmittel in der EU oszilliert zwischen dem EU-Agrarrecht und Lebensmittelinformationsrecht. In diesem Beitrag werde ich aufzeigen, wie sich EU-Agrarrecht und EU-Lebensmittelinformationsrecht in diesem Bereich gegenseitig beeinflussen, um Informationsasymmetrien im Agrar- und Lebensmittelinformationsrecht auszugleichen. Beide Rechtssysteme, sowohl das EU-Agrarrecht als auch das EU-Lebensmittelinformationsrecht, haben Unzulänglichkeiten, die durch die gegenseitige Übernahme von Begründungen des jeweils anderen Rechtssystems ausgeglichen werden sollen. Dies führt zu Reibungen, da Agrarrecht und Lebensmittelrecht unterschiedliche Ausgangspunkte und sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt haben. Isoliert betrachtet haben beide Rechtssysteme Unzulänglichkeiten, einen angemessenen Informationsausgleich für Verbraucher zu schaffen. Diese Unzulänglichkeiten werden dadurch auszugleichen versucht, dass bei der Auslegung der unbestimmten Normen auf Wertungen des jeweils anderen Rechtssystems rekurriert wird. Dies hat zwei Effekte: Das Agrarrecht heilt die unerwünschten Auswirkungen der weitergenden Vorschriften zum Ausgleich von Informationsasymmetrien für Verbraucher im Lebensmittelinformationsrecht, indem es die Berücksichtigung der Interessen der Erzeuger in die Auslegung des Lebensmittelinformationsrechts wieder einführt; da die Interessen der Erzeuger im Agrarrecht stärker im Vordergrund stehen, zeigt die Berücksichtigung der landwirtschaftlichen Bestimmungen die Grenzen des Lebensmittelinformationsrechts auf. Durch die Berücksichtigung sowohl der Interessen der Erzeuger als auch der Verbraucher kann eine solche Auslegung besser geeignet sein, den Interessen der Verbraucher zu dienen, da andernfalls die Produktion gefährdet wäre und letztlich im Extremfall keine Lebensmittel zur Auswahl stünden. Gleichzeitig kann die Berücksichtigung des Agrarrechts aber auch den effektiven Ausgleich von Informationsasymmetrien, insbesondere im Hinblick auf innovative Lebensmittel, verhindern. Bei der Umsetzung der Nachhaltigkeit in der EU-Agrarpolitik würde die Kennzeichnung jedoch von einer stärkeren Anerkennung der Grundprinzipien des EU-Lebensmittelinformationsrechts profitieren. Dies würde erfordern, dass die rechtlichen Beziehungen zwischen den sich zunehmend überschneidenden Regelungen in Einklang gebracht werden. Ein normativer Ansatz zur Befähigung der Verbraucher im EU-Agrarrecht mit dem Ziel, mehr Nachhaltigkeit zu etablieren, würde eine Änderung des Ansatzes des Verbraucherinformationsrechts von einem prozessbezogenen zu einem produktbezogenen Ansatz erfordern, durch den es den Verbrauchern leichter fallen würde, das nachhaltiger produzierte Produkt zu wählen.
Im ersten Teil werde ich mich mit der Rolle des Ausgleichs von Informationsaymmetrien für Verbraucher im EU-Agrar- und Lebensmittelinformationsrecht befassen. Anschließend werde ich ihre jeweiligen Unzulänglichkeiten beleuchten und darlegen, wie dies dazu geführt hat, dass beide Rechtssysteme bei der Auslegung der lebensmittel- und agrarrechtlichen Bestimmungen der EU über die Kennzeichnung Lücken aufweisen. Im zweiten Teil werde ich aufzeigen, welche Auswirkungen dies auf die Mündigkeitkeit der Verbraucher hat. Im dritten Teil schließe ich meine Erkenntnisse mit den oben genannten zwei Auswirkungen ab und mache Vorschläge für eine effektivere Kennzeichnungsregelung, um die Wahl nachhaltigerer Lebensmittel zu unterstützen.