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Phänomenologische Anregungen zur Tragweite eines Paradigmas

Titelangaben

Thibaut, Julia:
Phänomenologische Anregungen zur Tragweite eines Paradigmas.
2018
Veranstaltung: Das Paradigma der Relationalität: Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Netzwerkforschung , 03.-04.12.2018 , Darmstadt.
(Veranstaltungsbeitrag: Kongress/Konferenz/Symposium/Tagung , Vortrag )

Abstract

Phänomenologische Anregungen zur Tragweite eines Paradigmas

An der Parallele zur speziellen Relativitätstheorie Einsteins macht Mustafa Emirbayer (1997)den Grundgedanken der Relationalen Soziologie fest. So wie Raum und Zeit sich nicht kontinuierlich, gleichbleibend verhalten, sondern relativ zu Masse und Geschwindigkeit (vgl. u.a. Löw 2012, S. 24ff.), verhalten sich auch Akteure nicht einer Entität oder Substanz entsprechend, sondern relativ bzw. in Abhängigkeit zu ihrer jeweiligen Einbettung. Was Emirbayer bei diesem Vergleich allerdings nicht bedenkt, ist, dass die Newtonsche Mechanik, die von einem statischen Verhalten von Raum und Zeit ausgeht, für die meisten technischen Abläufe (auf der Erde) ausreichend ist und nach wie vor angewendet wird. Das heißt, erst ab einer bestimmten Masse oder Geschwindigkeit kommt es zu einer Zeitdilatation oder Raumkontraktion (vgl. u.a.: Hoffmann 2015, S. 193ff.), die die Relativitätstheorie technisch notwendig macht. Was bedeutet nun diese Schieflage des Vergleichs für das Paradigma der Relationalität?
Alfred Schütz weist in Anlehnung an Husserls Phänomenologie darauf hin, dass sowohl subjektive als auch objektive Sinnzuschreibungen zeitlich gedacht werden müssen. So schreibt er im Hinblick auf den Weberschen Handlungsbegriff: „Die Rede vom »Handeln, mit welchem seitens des Handelnden Sinn verbunden wird«, ist nur eine metaphorische Bezeichnung für Erlebnisse, die auf bestimmte Weise in den Blick genommen werden und der Sinn, der diesem Handeln fälschlich prädiziert wird, ist nichts anderes als das Wie der Zuwendung zum eigenen Erleben, das also, was Handeln (und zwar als Einheit) erst konstituiert.“ (1975 [1932], S. 83)
Dieser zeitlich bedingte Sachverhalt veranlasst die Sozialphänomenologie und in ihrer Folge die Wissenssoziologie aber nicht dazu, die Kontinuität von Sinnformen gänzlich in Frage zu stellen. Eine gewisse Substanz von Akteuren wird also trotzdem mitgedacht. (vgl. etwa: Schütz u. Luckmann 2017; Berger u. Luckmann 2016 [1969]). Von einer Unvereinbarkeit relationalen Denkens mit einem Denken in Entitäten und Substanzen auszugehen, mag zwar konsequent oder folgerichtig sein, es ist aber vielleicht nicht immer wesentlich oder relevant. Wenn das Paradigma der Relationalität etwa konsequent auf die (sinnhafte) Bedeutung von Beziehungen, die Fokussierung bestimmter Relationen oder die (methodische) Konstruktion von Netzwerken bezogen wird, dann lässt
sich auf einige Frage schwer eine Antwort finden: Wie ist es etwa zu erklären, dass bestimmte Beziehungsformen (Freundschaft, Partnerschaft, Koautorschaft etc.) wiederholt in den Blick geraten? Weshalb werden einige Relationen über räumliche und zeitliche Ausdehnungen hinweg immer wieder beschrieben? Oder wie kann es sein, dass auf manche Netzwerke begrifflich, also als das Netzwerk X gegenüber dem Netzwerk Y Bezug genommen wird? In dem Beitrag sollen die phänomenologischen Überlegungen Schützs zum Ausgangspunkt
genommen werden, um über die Tragweite des Paradigmas der Relationalität nachzudenken. Dabei ist nicht alleine beabsichtigt einige, erste Interpretationsvorschläge zur Diskussion zu stellen, sondern auch Bezüge zu einem Theoriezweig weiterzuverfolgen, der in der Netzwerktheorie und Relationalen Soziologie bisher eher unterrepräsentiert ist (vgl. etwa Fuhse 2008; Häußling 2010).

Literatur

Berger, Peter; Luckmann, Thomas (2016 [1969]): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Mit einer Einleitung zur deutschen Ausgabe von Helmuth Plessner. Übersetzt von Monika Plessner. 26. Auflage, Frankfurt a.M.: Fischer.

Emirbayer, Mustafa (1997): Manifesto for a Relational Sociology. In: The American Journal of Sociology 103(2), S. 281–317.

Fuhse, Jan Arendt (2008): Gibt es eine Phänomenologische Netzwerktheorie? Geschichte, Netzwerk und Identität. In: Soziale Welt 59, S. 31–52.

Häußling, Roger (2010): Relationale Soziologie. In: Stegbauer, Christian; Häußling, Roger (Hg.): Handbuch Netzwerkforschung. Wiesbaden: Springer VS, S. 63-87.

Hoffmann, Dirk W. (2015): Einsteins Relativitätstheorie: Eine Geführte Reise durch Raum, Zeit und die Geschichte der Physik. Norderstedt: Books on Demand.

Löw, Martina (2012): Raumsoziologie. 7. Auflage. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Schütz, Alfred; Luckmann, Thomas (2017): Strukturen der Lebenswelt. 2. überarbeitete Auflage, Konstanz u. München: UVK.

Schütz, Alfred (2016 [1932]): Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie. 7. Auflage, Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Weitere Angaben

Publikationsform: Veranstaltungsbeitrag (Vortrag)
Begutachteter Beitrag: Ja
Keywords: Sozialphänomenologie; Netzwerktheorie; Wissenssoziologie
Institutionen der Universität: Fakultäten
Fakultäten > Kulturwissenschaftliche Fakultät
Fakultäten > Kulturwissenschaftliche Fakultät > Lehrstuhl Allgemeine Pädagogik
Fakultäten > Kulturwissenschaftliche Fakultät > Lehrstuhl Allgemeine Pädagogik > Lehrstuhl Allgemeine Pädagogik - Univ.-Prof. Dr. Iris Clemens
Titel an der UBT entstanden: Ja
Themengebiete aus DDC: 100 Philosophie und Psychologie > 100 Philosophie
300 Sozialwissenschaften > 300 Sozialwissenschaften, Soziologie
Eingestellt am: 02 Okt 2020 05:07
Letzte Änderung: 02 Okt 2020 05:07
URI: https://eref.uni-bayreuth.de/id/eprint/57769